Samstag, 27. April 2013

Die Stadt am heiligen Fluss


21.04.2013 - Varanasi

....ich sitze mit 30 Indern in einem Zugabteil, das für 10 Leute bestimmt ist und mein Rücken schmerzt von der langen Zugfahrt. Überall nackte Füße und ich kann mich kaum bewegen. Trotz meiner wirklich ungemütlichen Sitzsituation, die mich an Nichts anderes denken lässt, als an frische Luft und Freiraum, frage ich mich warum meine Füße immer dreckig sind in Indien und all die Füße um mich herum sauber? Wie machen die Inder das?

Menschen neben, unter und über mir, Menschen überall. Kaum bekleidete und dreckige Kinder laufen durch den Zug und verkaufen Wasser, Chips und Gurken. 'ChaiChaiChaiChaaaaaaaaai ' schallt es durch den ganzen Zug. Bekommt man Langeweile im Zug ( was eher selten vorkommt ), schaut man einfach aus dem Fenster und zählt die Menschen, die auf der Straße, auf dem Feld oder direkt am Bahngleis, ihr Geschäft verrichten. Auf dem Weg von Agra nach Varanasi ( 4 Stunden ) waren es 143 Menschen. Es ist heiß, meine Füße sind eingeschlafen, es stinkt nach Schweiß und Urin und ich möchte endlich ankommen....

Varanasi, die Stadt am heiligen Fluss Ganges. Indiens Alptraum in der Stadt, die Shiva, dem Gott der Ekstase und der Zerstörung, geweiht ist. Hier wohnt das Elend. Jährlich pilgern gläubige Hindus nach Varanasi, um zu sterben. Sie wollen hier in Varanasi sterben, denn wer hier stirbt und im Ganges bestattet wird, durchbricht den quälenden Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt und erlangt so die endgültige Erlösung. Die Pilgerer kommen aus ganz Indien und sind oft schon krank, wenn sie Varanasi erreichen. Sie übernachten in der Nähe der Ghats, in den Strassen oder den vielen Hospizen. Sterben sie, werden sie zu den Verbrennungs-Ghats gebracht, um endlich ihr Ziel ihrerer weiten Reise zu erreichen. Varanasi ist das Zentrum der Religion und ist für die Hindus das, was für die Moslems Mekka ist. Varanasi ist die Stadt des Todes, eine Stadt in der, der Tod zum Geschäft wird.

Mit der Vorschrift, bloß mit Keinem zu sprechen und mit der warnenden Info, dass jährlich Touristen in Varanasi spurlos verschwinden, sitzen wir etwas eingeschüchtert in der Rikscha, Richtung Zentrum, Richtung Fluss. Wir fahren in eine endlose Menschenmenge hinein und von überall grinsen mich zahnlose Bettler gierig an. Verstümmelte Männer ohne Arme und Beine versuchen mühsam über die Straße zu robben. Keiner nimmt Rücksicht, sie werden unsanft zur Seite geschoben oder werden fast überfahren. Knochige, fingerlose Hände suchen sich ihre Weg in unsere Rikscha und fordern Geld. Ich habe kein Kleingeld, nur Schokolade. Anstatt meine Schokolade anzunehmen, wird diese auf den dreckigen Boden geworfen und von der nächsten Rikscha zerquetscht. Unfassbar, dass sogar Menschen, die Nichts besitzen, immer noch wählerisch und eitel sein können....ich ärgere mich, denn ich hätte meine Schokolade noch sehr gerne noch!

Die Luft ist verpestet und ein scheußlicher Abgasgeruch nimmt ungebeten in meiner Nase Platz. Ich verschleiere mich nun ganz, denn ich habe Angst zu ersticken. Der Rikschafahrer stoppt und wir müssen aussteigen. Wir sind in der Altstadt angekommen und hier gibt es für Fahrzeuge, kein Durchkommen mehr. Ein Labyrinth von Gassen beginnt und ich kann mir sofort erklären, warum Touristen hier spurlos verschwinden...Die Menschenmenge mag kein Ende nehmen und wir versuchen, unseren Rikschafahrer, der uns unser Hotel zeigt, nicht zu verlieren. Gar nicht so leicht, wenn unzählige Menschen und Kühe einem den Weg versperren, wir über plötzlich auftauchende Löcher im Boden springen müssen und aufpassen müssen nicht in Kuhmist auszurutschen....und das Alles mit einem riesigen Rucksack auf unserem Rücken, der fast größer ist als ich.

Unser Fahrer führt uns tief hinein in das Gassenlabyrinth. Die Häuser stehen eng zusammen und überall liegt Mist und Müll.Wir entfernen uns immer weiter von der Hauptstraße und somit von den hupenden Autos und Rikschas. Es ist leise, keiner redet und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Eine unheimliche Stadt. Ich spüre den Schleier von Krankheit und Tod, der über der Stadt liegt. In dunklen Ecken sitzten komische Gestalten und beten. Überall schieben sich Pilgerer durch die Straßen, Richtung Fluss. Es ist unglaublich dreckig und um mich herum schwirren bestimmt hundert Fliegen. Die Gassen sind so eng, dass wir ein echtes Problem bekommen, wenn wir einer Kuh begegnen. Entweder müssen wir  eine Ewigkeit warten oder versuchen uns irgendwie an dem Tier vorbei zu drängen. Platsch....die Kuh verpasst mir eine saftige Backpfeife mit ihrem Schwanz. Danke, heilige Kuh!  Jetzt nur nicht noch im Kuhmist ausrutschen...
Wir finden hier nie wieder raus!!! Schon längst habe ich aufgehört mir den Weg zu merken und die Freude ist groß endlich am Hotel anzukommen. Es ist der Wahnsinn. Unser Hotel liegt direkt am Fluss und wir haben einen traumhaften Ausblick über den Fluss, der leblos an der Stadt vorbeizieht. Wir wohnen an dem Burningghat und von der Dachterasse, sehen wir den Rauch der brennenden Scheiterhaufen aufsteigen. Dreht sich der Wind, fliegt der Geruch von Menschenverwesung in unsere Richtung.

Entlang des ganzen Flusses, befinden sich die Ghats. Die berühmten Treppen, die hinab in den Ganges führen. Die Szenen, die sich hier unten an den Treppen abspielen sind verrückt. Ich kann einfach nicht glauben, was ich hier alles sehe. Ein Hauch von Unglaubwürdigkeit und Entsetzten legt sich um mich. Die Pilger stehen im Wasser und verrichten ihre Rituale, während dazwischen Frauen ihre Wäsche im heiligen Fluss waschen. Sehr pragmatische Religion....

Der heilige Fluss ist vollkommen verseucht und es schwimmen undefinierbare Gegenstände im Wasser. Wie können die Menschen hier schwimmen ohne sofort zersetzt zu werden?
Wohin ich auch hinschaue treiben sich komische Gestalten herum. In Asche eingeriebene Menschen meditieren am Flussufer. Nackte, bunt angemalte Männer geben unverständliche Geräusche von sich. Von jeder Seite bieten mir zerbrechliche Bootsfahrer eine Bootsfahrt an und Gurus wollen mir mit Meditionskursen das heilige Wissen von Indien verkaufen. Überall komische Heiligtümer mit scheußlichen Gottheiten, in Mitten von einem See von menschlichen Fäkalien.

Immer wieder trifft man auf  die Träger, die die Toten auf einer Bahre an die Ghats bringen. Es ist ein komisches Gefühl diese Menschen dort auf den Holzbahren zu sehen, den Tod so nah neben einem zu sehen und zu spüren.
Die Hauptverbrennungstreppe, an der ich wohne, heißt Manikarnika Ghat. Die Stimmung an dem Verbrennungslatz ist einfach nicht zu beschreiben. Vor meinen Augen, liegt ein öffentliches Krematorium. Hier endet das Leben. Hier ist der Ort, an den all die Pilgerer am Ende ihrer Lebensreise ankommen möchten. Vor meinen Augen liegen die Menschen auf den Scheiterhaufen und verbrennen langsam. Viele Menschen, Angehörige sowie Fremde beobachten die Feuer. Keiner weint, keiner lacht. Es ist ein Ort ohne Gefühle, ein toter Ort.

Bevor die Toten angezündet werden, werden sie in den heiligen Fluss gelegt und werden mit dem heiligen Wasser gesegnet. Dann kann der letzten Vorbereitung nichts mehr im Weg stehen. Sandelholz ist rituell notwendig, um die Toten zu verbrennen. Sandelholz ist aber sehr teuer und das können sich viele nicht leisten. Aus dem Grund geben Frauen dafür dem Dom, dem professionellen Leichenverbrenner, ihren letzten Schmuck um Sandelholz für den Toten zu kaufen. Das Feuer wird von dem ältesten männlichen Verwandtem angezündet. Steht der Tote in Flammen, wartete man einige Stunden bis der Schädel der Leiche platzt. Das Platzen des Schädels,  ist das Zeichen der Erlösung. Danach wird die Asche aufgesammelt und anschließend in den heiligen Fluss gestreut. Jedoch verbrennt nicht alles, vor allem wenn die Familie nicht genug Geld für ausreichend Holz hat. Die Leichenreste werde, sowie die Asche, in den Fluss geworfen. Babys, Schwangere und Sadhus, werden nicht verbrannt sondern  mit Steinen beschwert in den Fluss geschmissen

Das Fotografieren ist hier verboten und das sollte man auch respektieren. Ich weiß nicht was ich fühlen soll. Rauch steigt in meine Augen und ich muss weinen. Ich habe schon sehr viel Schreckliches in Indien gesehen aber ich weiß nicht was ich mit diesen Bildern in meinem Kopf anfangen soll. Nachdem ich einige Zeit, die Toten im Feuer beobachtet habe, wird mir von dem Verwesungsgeruch, der über dieser Treppe schwebt, schlecht und ich muss den Feuern meinen Rücken zukehren.

Eine Bootstour auf dem Ganges ist ein unvergessliches Erlebnis. Die Stadt und ihr unheimliches Treiben vom Boot aus zu beobachten ist jedes Geld wert. Langsam gleiten wir entlang der imponierenden Zeile, indischer Paläste, Tempel und Treppen. Viele Gläubige sowie auch kleine Kinder nehmen ihr tägliches Bad oder verrichteten ihr Gebet (Puja). Es wird uns erzählt, dass der Fluss eine wundersame Selbstreinigungskraft hat. Ich weiß nicht so Recht, ob ich das glauben soll. Aber warum an all die Kolibakterien denken, wenn man nach einem Bad, all seine Sünden im Fluss lassen kann....
Sobald, die Dunkelheit anbricht, sollte man als Tourist nicht mehr durch die Straßen laufen. Von überall erläuten Gebetsrufe, Glockentöne durchstoßen die Luft und ich höre Trommeln.

Dieser Ort ist wirklich heilig. Varanasi zu beschreiben ist nicht möglich. Jeder Mensch muss dort gewesen sein, um zu verstehen. Mein Körper ist gefüllt von einem unheimlichen Gefühl aber im Hotel fühle ich mich sicher. Diese Stadt ist etwas besonderes und gehört zu den Orten an in die ich zurück kommen möchte. Man spricht vom Alptraum Indien jedoch wurde hier mein Traum, diesen heiligen Ort zu sehen und zu spüren, wahr. Ich verlasse diesen Ort mit einem schönem Gefühl auch wenn ich die Bilder in meinem Kopf nie vergessen werde. Varanasi, heiligste Stadt in Indien....

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