Sonntag, 17. Februar 2013

Der Winter verabschiedet sich


Die schönste Zeit, Indien zu besuchen, neigt sich dem Ende zu und der 'Winter'  verabschiedet sich langsam aber sicher.Die heiße Jahreszeit rückt immer näher. Die drückende Hitze nimmt Tag für Tag zu. Das Wetter spielt verrückt. Tausende von  Wolken am Himmel, die Sonne kämpft sich mit aller Kraft durch die dichte Wolkendecke. Für wenige Stunden erreichen die Sonnenstrahlen den Boden und brennen auf meiner Haut. Nachts brauche ich keine Decke mehr, die Luft wird immer feuchter und dicker. Man glaubt es kaum, aber ich habe auch schon meinen ersten Regen mitbekommen. Wo kommt der Regen her? Es ist sehr untypisch, dass es außerhalb der Monsumzeit regnet. Doch ich war mitten drin. Der Himmel zog sich zusammen und verschling alles um sich herum. Der Regen prasselte hart auf den Boden. Der Duft von Regen lag in der Luft und der Himmel schrie. Donner und Blitz. Ich saß im Trockenem, jedoch war es stockdunkel. Stromausfall. Keine seltene Sache hier. Täglich fällt der Strom aus, mal für 5 Minuten oder  auch mal für eine Stunde.

Bis die Hitze im April und im Mai das Leben hier schwer macht und Temperaturen von 45 Grad Tagesordnung sind, bleibt noch etwas Zeit.

Ich liebe indische Klamotten, jedoch finde ich es eher lästig, als Frau nicht viel Haut zeigen zu dürfen. Lange Klamotten am Körper kleben zu haben, während die Sonne brennt, fand ich anfangs nicht schön. Ich denke oft  an die Sommerzeiten in Europa, in denen man mit luftigen Sommerkleidchen durch die Gegen laufen konnte ohne komisch angeguckt zu werden. Jedoch finde ich es erstaunlich, wie schnell ich mich daran und generell an das Klima gewöhnt habe. Ich friere sobald die Temperaturen Nachts auf 23 Grad sinken und scheint die Sonne mal nicht so stark, habe ich mein liebes Strickjäckchen über, während jeder Mensch in Deutschland verrückt werden und so wenig wie möglich anziehen würde. Es ist sehr interessant, wie sich ein Mensch, so schnell anpassen kann.

Wenn  man hier leben möchte, bleibt einem nichts Anderes übrig, als sich anzupassen. Ich kann nicht behaupten, dass es leicht ist, aber sich vorzustellen, dieses Leben hier nicht  leben  zu können, ist für mich schon nach bald 2 Monaten unmöglich geworden.
Sich vollkommen auf die Lebensweise hier einzulassen, ist unglaublich spannend. Ich persönlich merke bereits, wie sich Bilder und Meinungen über Dinge ändern. Ich denke anders, fange an Dinge im Leben zu schätzen, die ich für selbstverständlich gehalten habe. Ich fange aber auch an, Kritik intensiv zu überdenken und all die Unverständlichkeiten hier in Indien zu durchforschen. Es ist komisch sich in einem Land wohl zu fühlen, in dem so viel Grausamkeit herrscht und in dem es so viele Dinge gibt, die ich nicht verstehe und auch nicht verstehen will. Dinge, die mit meinem Leben nichts zu tun haben. Werte mit denen ich nicht aufgewachsen bin. Dinge, die für einen Europäer Welten entfernt sind.

Ich beschäftige mit sehr mit der Rolle der Frau. Obwohl Frau und Mann laut Gesetzt gleich gestellt sind und es das Kastenwesen angeblich nicht mehr gibt, wird die Frau weiterhin unterdrückt und diskriminiert. Etwa 95% der Ehen hier in Indien, werden von den Eltern arrangiert. Man sieht sich, wenn überhaupt, nur wenige Male vor der Hochzeit und es wird oft innerhalb der Familie geheiratet. Viele Liebschaften, werden geheim gehalten. Da Indien ein sehr abergläubisches Land ist, sind die Kriterien für einen geeigneten Bräutigam vor allem Kastenzugehörigeit und Horoskop.  Ist eine Frau verheiratet, ist sie verpflichtet ihren Beruf aufzugeben, zu ihrem Mann zu ziehen und ihm, ihr Leben lang, untertan zu sein. Junge Mädchen, die bereits versprochen sind, werden nicht zu Schule geschickt. 62% der Mädchen können nicht lesen und schreiben. Die Aufgaben der Frau, sind kochen, putzen, waschen.

Mädchen sind nicht zu gebrauchen. Leider ist diese Meinung in zu vielen Köpfen, hier in Indien,  tief verwurzelt. Es gibt viele Abtreibungskliniken, die darauf spezialisiert sind, das Geschlecht des Kindes, vor der Geburt, zu ermitteln um dann weibliche Föten abzutreiben. Traurig aber wahr. Viele Familie töten, aus Not, ihre weiblichen Kinder sogar nach der Geburt. Die arbeitende indische Frau ist gefangen, in einem Heim, dass ihr aufgezwungen worden ist.
Umso mehr ist es wahnsinnig toll, Frauen zu treffen, die sich von diesem Leben entfernt habe, Stärke zeigen, ihre Meinungen öffentlich sagen und sich westlich orientieren und den Mut haben sich westlich zu kleiden. Es gibt starke Frauen in Indien. Ich hoffe, dass Indien reich an dieses Frauen wird und daran wächst.

Die tödliche Gruppenvergewaltigung der jungen Studentin in Neu Dheli hat eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst und es wird viel intensiver über Sexualstraftaten berichtet. Die Zeitungen sind voll von schrecklichen Berichten. Nach nationaler Statistik gab es im vergangenem Jahr in Indien über 250.000 Gewaltverbrechen - 90 Prozent davon gegen Frauen.

Wie kann man sich in diesem Land sicher fühlen? Viele Leute fragen mich das und auch ich habe diese Frage ständig in meinem Kopf. Täglich verschwinden Frauen hier in Bangalore, Leute erzählen von Vergewaltigung nicht weit von meinem Haus. Wie kann ich mich da sicher fühlen?
Ich fühle mich nicht wirklich sicher, aber ich lerne damit umzugehen. Ich lebe hier, will ein normales Leben führen. Soll ich jetzt nicht mehr alleine durch die Straßen gehen? Soll ich nach 18:00 das Haus nicht mehr verlassen, nur weil es dunkel wird? Egal wie viele schreckliche Dinge passieren, ich kann und will mich nicht noch mehr einschränken lassen. Indien ist ein Land voller Einschränkungen, vor allem für die Frau. Ich lebe gerne hier in Indien und das Land macht mich glücklich. Die negativen Seiten gehören zu Indien und somit auch zu meinem Leben hier für ein Jahr. Ich will das nicht verstecken. Indien ist nicht nur ein Land voller Einschränkungen, sondern auch der Gegensätze.

Bettler ohne Arme und Beine sitzen am Straßenrand, dort wo sie ihr Wohn-und Bettelplatz gefunden haben. Leprakranke, denen Körperglieder bereits abgefault sind. Kinder laufen barfuß durch die Straße und betteln und jeder der irgendwie arbeiten kann, hat sich etwas aufgebaut, um wenigstens ein paar Rupien zu verdienen...Straßenhändler und Straßenköche. Sie reparieren Stifte, putzen Schuhe, bügeln auf offener Straße Kleidung, bieten das Handlesen an, verkaufen selbstgemachte scharfe Mahlzeiten an....und in mitten dieser Leute stolzieren indische Businessmänner mit Lackschuhen und Iphone am Ohr.

Diese Bilder gehören zu meinem Alltag und die Art und Weise diese Bilder zu betrachten und zu verarbeiten wird leider immer leichter. Das Gefühl von Mitleid wird anders und schwächer, sonst hat man keine Chance hier ein normales Leben zu führen. Schrecklich wird es jedoch immer bleiben.

Nicht nur Indien ist voller Gegensätze und Widersprüche. Ich selber bin ein Widerspruch. Das Leben hier in Indien wird, auf Grund von Kultur und Religion, eingeschränkt und es ist schwer möglich Sicherheit zu verspüren und trotzdem fühle ich mich frei und lebendig hier. So etwas kann nur hier in Indien möglich sein....

Ich sprach eben von Anpassung und indischer Kleidung. Mein Kleiderschrank ist schon sehr indisch. Viele Kleider habe ich nicht, aber wofür auch? Viele von euch fragen sich bestimmt, was man überhaupt hier so anzieht. Mein typisches Outfit für die Arbeit ist eine bunte Leggings mit einem Kamiz drüber. Stellt euch ein längeres Hemd von, in allen Farben und Mustern erhältlich und tollen Schmuckelementen. Das Hemd ist in aller Regel ab der Hüfte abwärts geschlitz, damit man sich gut bewegen kann. Gerne trage ich dazu aber auch die typische Hose. Die Hose heißt Salwar. Will man das Outfit noch perfekt abschließen, hänge ich mir eine Dupatta um. Ein langer breiter Schal, der über eine Schulter, den Hals oder über den Kopf gelegt wird. Das ganze Outfit wird Salwar Kamiz genannt.  Ich trage aber auch westliche Klamotten...das heißt lockere Tshirts und Pluderhosen. Klamotten in denen man sich einfach nur wohl und frei fühlen kann.
Generell lege ich hier viel weniger Wert auf mein Äußeres. Meine Wimperntusche und Kajal liegen seit Wochen unberührt im Schrank. Körperpflege ist jedoch sehr wichtig, denn der Körper verliert viel Feuchtigkeit hier. Es gibt hier die tollsten Pflegeprodukte und Öle. Ich benutze hier 2 mal die Woche Kokusnussöl für die Haare. Sehr beliebt hier in Indien. Das erklärt auch, warum jeder zweiter Indern fettige Haare hat. Henna ist hier in Indien auch sehr beliebt. Sogar die Männer färben sich mit Henna die Haare. Es ist immer sehr lustig, wenn man plötzlich einen alten Mann mit weißem Gewand und knallorangenen Haaren und Bart durch die Straßen mit seinem Stock laufen sieht. Ich habe es auch mal ausprobiert. Wenn ich schon mal hier bin, habe ich mir gedacht und Henna in meine Haare geklatscht. Ich kann nicht behaupten, dass ich es liebe aber schlecht finde ich es auch nicht.

Gleich in meinen ersten Wochen, habe ich mir ein Nasenloch stechen lassen.Ich liebe meinen Nasenring, da fühlt man sich doch gleich indischer. Fast jede Frau hat ein Nasenpiercing. Das Nasenpiercing kommt ursprünglich aus Indien und wird hier vorzugsweise am linken Nasenflügel getragen, da angenommen wird, eine Geburt verlaufe dadurch einfacher. Außerdem sagt man, dass durch einen Nasenring, der Körper vor bösen Kräften geschützt wird. Na da kann mir ja Nichts mehr passieren.
Nicht nur das Nasenloch schmückt mich, sondern auch schon viele tolle indische Armreifen. Ich kann von dem Schmuck hier nicht genug bekommen. Ich könnte einen ganzen Tag durch die Straßen ziehen und den Schmuck anschauen. Es ist sehr schwer, nicht in die Versuchung zu kommen, hier mal Ohrringe zu kaufen, dort ein Fußkettchen oder da drüben einen schönen Armreif. Gut, dass ich ein ganzes Jahr hier bin und ich noch tausend Gelegenheiten haben werde, meinen Wahnsinn nach Schmuck zu stillen.

Eine weitere Sache, die ich lerne ist Kannada und die Gebärdensprache. Ich habe jeden Tag um 15:00 Sign Language Class und ich habe noch nie so viel Spaß und Freude am Lernen verspürt. Ich lerne meditieren und wie man mit Henna Mehndi malt.Ich lerne kochen und waschen. Ich muss jedoch sagen, dass mir das Waschen wirklich nicht Spaß macht. Waschmaschine ist purer Luxus, den ich hier nicht habe. Es wird per Hand gewaschen. Zu Verfügung stehen mir Wasser, eine Seife und ein Waschstein. Das geht ziemlich in den Rücken und die  Klamotten leider auch sehr darunter.' What to do ' würde der Inder nur sagen.

Das Kopfwackeln der Inder wird für mich immer selbstverständlicher, man spricht das Englisch der Inder  und generell gewöhnt man sich die indische Redensart sowie die Verhaltensart der Inder an. Schon verrückt.

Bald fängt die Mangozeit an. Bald geht es für mich auf meine erste indische Hochzeit. Bald  lass ich mir meinen ersten Sari schneidern.Bald suche ich mir eine Tanzschule, wo ich Bollywood tanzen lerne und bald fangen meine großen Ferien an und somit meine große Reise durch Indien. Dazu aber mehr, sobald es soweit ist.

Zum Schluss eine kleine nette Geschichte. Es ist verblüffend, wie viele Menschen hier nichts über Europa, geschweige denn über Deutschland wissen.

Meine Klasse hatte Sport und ich saß mit einer Lehrerin gemütlich im Schatten. Wir unterhielten uns über indisches Essen und sie zählte mir all die unzähligen Tempel der Stadt auf. Ich durfte sie viele Dinge fragen und das Gespräch war sehr spannend. Nachdem wir genug über Essen und Tempel geredet hatten, fragte mich die Leherin ' Ihr esst nur Brot und Wein richtig? '.  Es hat eine Zeit lang gedauert, ihr verständlich zu machen, dass wir nicht nur Wein trinken und ganz sicher nicht nur Brot essen. Sie wollte mir jedoch nicht glauben, dass wir auch normales Wasser haben und kein Wein zum Frühstück trinken. Ich wurde gefragt, ob wir in Deutschland auch in Saris rumlaufen würden und ob wir auch behinderte Kinder in Deutschland hätten. Man wird oft unverständliche Dinge gefragt, worüber wir nur den Kopf schütteln.

Wie ist es möglich, im Kopf so weit weg von einer anderen Welt leben zu können und keinen blassen Schimmer von dieser anderen Welt zu haben, die mit dem Flugzeug nur wenige Stunden zu erreichen ist?!?! Für einen Europäer unverständlich...

Jedoch glaube ich auch, dass die meisten Menschen genauso wenig über Indien wissen, wie die Inder über Deutschland. Auch ich muss zugeben, nicht wirklich etwas über das Land, indem ich leben wollte, gewusst  zu  haben. Ich kann jeder behaupten, jeden Tag das Land besser kennen zu lernen und ich bin unglaublich froh, dass ich diese Möglichkeit habe.

Namaskara!

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